Friederike in Dunedin

Von Kiwis, Karoröcken und Klimaveränderungen – Sechs Monate am anderen Ende der Welt

Bei den Worten „We are ready to take off“ wurde mir das erste Mal ein bisschen komisch. Auf einmal überwog die Angst vor dem Neuen die Neugierde aufs Fremde und Ungewisse. Während der 10 monatigen Vorbereitung (an dieser Stelle muss ich sagen, dass ich „planungsphanatisch“ bin, und dass es durchaus auch nur die Hälfte der Zeit, wenn nicht noch weniger, in Anspruch nehmen kann) hatte ich so was nie gespürt. Selbst als ich mich von meiner Familie am Kölner Flughafen (von dem mein Zubringerflug nach London ging) oder von meinen Freunden am Tag davor verabschiedet hatte, immer war das Gefühl der Abenteuerlust größer gewesen als der „Abschiedsschmerz“.

Nun saß ich also in diesem riesigen Flugzeug – immerhin hatte ich einen Fensterplatz - und dachte an die letzten Monate in Deutschland zurück. Vor fast einem Jahr hatte das alles hier seinen Ursprung gefunden. Im August 2009. In einer Freistunde in der Bibliothek entdeckten meine Freunde und ich Broschüren über Auslandsaufenthalte. Wir blätterten sie durch und träumten. Alle nahmen wir die Hefte mit nach Hause. Noch am selben Abend erzählte ich meinen Eltern davon, dass ich ein paar Monate des 11. Schuljahrs im Ausland verbringen würde. Sie nickten nur geistesabwesend. Doch ein paar Wochen später dann wurde es auf einmal ernst. Ich hatte mich online bei der Organisation angemeldet und Neuseeland als Ziel ausgewählt. Ich hatte mich in den letzten Wochen für das Land entschieden, weil es in meinen Augen einfach das Land ist, was für uns Europäer am unbekanntesten ist und für mich das Paradies auf Erden war. Schon am nächsten oder übernächsten Tag rief jemand von der Organisation an und lud mich zu einem Interview ein. Ich fuhr mit meiner Familie zum vereinbarten Treffpunkt, zuerst führte er mit mir und meiner Familie ein Gespräch auf Deutsch und redete dann hinterher ein bisschen mit mir auf Englisch, um zu testen, ob mein Englisch für einen Auslandsaufenthalt gut genug sei. Er verabschiedete sich von uns und gab mir noch ein Auswahlheft der High Schools mit. In der nächsten Woche bekam ich einen Brief von der Organisation, der mir die mündliche Zusage nochmals bestätigte und den Vertrag in mehrfacher Ausführung mitschickte. Seitdem stieg die Aufregung und die Stapel von Blättern die ausgefüllt werden wollte. In den Herbstferien füllte ich die Bewerbungsunterlagen aus, in denen ich mich, meine Freunde, meine Hobbies und meine Familie vorstellen sollte, aber auch Zeugnisse und Einschätzungen der Lehrer als Anhang ausfüllen musste.

Das wurde dann über meine Organisation an die Schule in Neuseeland weitergeleitet, die mithilfe dieser Informationen dann eine Gastfamilie suchten. Diese habe ich allerdings erst mehr als sechs Monate später erhalten, was mich und mein Umfeld wohl fast in den Wahnsinn getrieben hat da es (zumindest) für mich schrecklich war mit einer Ungewissheit zu leben. Wo und wie leben sie? Haben wir gemeinsame Interessen? Werde ich Geschwister haben? Erstmals besser ging es mir, als alle Neuseeland-Expeditoren sich im Mai auf einem Vorbereitungstreffen kennenlernten und ich feststellte, dass alle genauso viel bzw. wenig wussten wie ich. Endlich konnte man euphorisch und hysterisch mit Gleichgesinnten reden, ohne die eigenen Freunde zu nerven, die sicher immer versuchten Verständnis aufzubringen, aber trotzdem nicht genau verstanden warum man sich verrückt machte.

In den nächsten Wochen ging alles ziemlich schnell. Es wurde geshoppt um sich der dortigen Jahreszeit (Winter!) anzupassen, die Visumsunterlagen wurden ausgefüllt und weggeschickt und letztendlich wurden dann drei Wochen vor dem Abflug auch die Gastgeschenke für die Familie gekauft. (Gar nicht so leicht für neun Personen …) und natürlich stets Kontakt mit den „Mitaustauschern“ gehalten. Und nun war es soweit. Ich saß mit den anderen im Flugzeug und flog den Zwischenstopp LA an. Nachdem wir in LA dann die strikten Amerikanischen Zollkontrollen überstanden hatten, saßen wir für ein paar Stunden in einem Warteraum und informierten Freunde und Familie, dass wir die erste Etappe der Reise bereits gut überstanden hatten. Der restliche Flug bis Auckland verging schnell, da wir alle schon mehr als 12 Stunden wach waren und entweder im Halbschlaf Filmen auf dem „privaten“ Monitor vor uns zu folgen versuchten, oder uns ganz dem Schlafen hingegeben hatten.

In Auckland wurden wir (nach Zoll-und Visumkontrolle) von zwei into Mitarbeitern erwartet, die uns in eine Jugendherberge in Auckland brachten, wo wir die nächsten Tage verbringen werden würden, um fremder Kultur und Land schon mal etwas näher zu kommen. Mir persönlich hat das sehr geholfen, da Neuseeland nun wirklich etwas vollkommen anderes ist als Deutschland oder gar Europa und man sich einfach sicher und wohler fühlt wenn man es zuerst einmal mit einer Gruppe von Leuten kennenlernt, die die selben Probleme und Ängste haben. In diesen Tagen lernten wir die einfach unbeschreiblich einzigartige Landschaft, die Kultur der Maori, typische Neuseeländer und noch weitaus mehr kennen.

Nach den ersten Tagen in Auckland ging es dann endlich weiter zu den Gastfamilien. Die Aufregung war bei allen unendlich groß. Außer ein paar Emails und einem Pflichtanruf (der bei uns allen viel Mut und Überwindung gekostet hatte) war noch nicht viel Kontakt gewesen, und im Prinzip waren die Menschen totale Fremde. Als das Flugzeug immer weiter nach unten ging und man nach und nach erst Felder und Berge, dann den Flughafen erkennen konnte, war ich so nervös, dass ich nicht mehr klar reden konnte und auch Problem hatte, meinen Tee zu trinken, ohne ihn mit meiner Sitznachbarin zu teilen- an dieser Stelle nochmals Entschuldigung, Miriam.

Endlich gelandet, liefen wir ein paar Meter über das Rollfeld (Flughäfen in Neuseeland sind üblicher Weise eher klein und beschaulich), sammelten unser Gepäck ein und versuchten unsere Gastfamilie zu finden. Ich war schon einem Nervenzusammenbruch nahe, weil meine ein bisschen zu spät kam. Letztendlich wurde dann aber doch alles gut und die ersten Gespräche mit meinen Gasteltern auf dem Weg nach Hause waren auch leichter als gedacht. Beim Abendessen lernte ich noch einen meiner beiden Gastbrüder kennen, bekam eine Hausführung und ging dann aber bald ins Bett (ich hatte mein eigenes Zimmer, und ein eigenes Bad was ich mir mit meiner asiatischen Gastschwester Nhung teilte) und schlief unter einem großen Berg von Decken. An dieser Stelle muss ich sagen, dass die Winter in Neuseeland nicht zu unterschätzen sind. Auch wenn meistens nur auf den Bergspitzen Schnee liegt ist es oft sehr kalt in den Häusern, da die Wände nicht isoliert und die Fenster meist aus Kunststoff sind. Für mich war das am Anfang die größte Umstellung. Immerhin hatte ich in Deutschland einen Sommer mit Rekordtemperaturen zurückgelassen und war jetzt hier in einem „Iglu“ gelandet. Das war für mich in den ersten Tagen schwer und nicht selten habe ich mich zurück gewünscht. Viel Zeit zum Trübsal blasen hatte ich allerdings nicht, da ich schon am nächsten Tag meine japanische Gastschwester Kaho kennenlernte und auch im Laufe der nächsten Tage meine schon erwachsenen Gastgeschwister und deren Familien.

Wenige Tage nach meiner Ankunft in Dunedin begann schon die Schule. Eine völlig neue Erfahrung. Alles war neu. Das System, die Fächer die zur Auswahl standen, das Gefühl Schuluniformen zu tragen, die Menschen natürlich, einfach alles. Ich war froh, dass ich einerseits meine asiatischen Schwestern hatte, Kaho, für die auch alles neu war und Nhung, die schon ein paar Monate dort zur Schule ging und uns alles zeigte und andererseits die (vielen) anderen Deutschen, die auch als Austauschschüler da waren. Anfangs war ich fast schon enttäuscht, dass so viele andere Deutsche an der selben Schule waren, aber mit der Zeit habe wir es zu schätzen gelernt, da man mit „Gleichgesinnten“ nun mal besser über Probleme wie Heimweh oder ähnliches sprechen kann. Sicher hätten wir das auch mit der Local-Cooridnator oder unsern Gastfamilien machen können, aber es war fast schon ein bisschen Heimat so etwas mit Deutschen zu besprechen. Die Integration war am Anfang für mich etwas schwierig, da ich mich nicht aufdrängen wollte und deswegen immer auf andere gewartet habe einen Schritt auf mich zu zumachen. Zwar wurde mir eine sog. Buddy zugeteilt, die mir in den ersten Tagen alles gezeigt und mit allem geholfen hat, aber leider ein Schuljahr über mir war, so dass es schwer war mich in ihren Freundeskreis zu integrieren, da ich sonst nichts mir ihr oder ihren Freunden zu tun hatte. Irgendwann habe ich mich dann einfach in der Lunchtime zu den Leuten gesetzt, mit denen ich die meisten Courses zusammen hatte und habe mit ihnen geredet. Und schon am Ende der Woche war ich akzeptiert und Teil der Gruppe. Von da an verbrachte ich alle Pausen mit ihnen und auch die Nachmittage. Wir schrieben uns zusammen für Sport wie Volleyball und Hockey ein und unternahmen am Wochenende was zusammen.

Meine Erfahrung ist es also, dass es nicht wirklich schwer ist Anschluss zu finden, wenn man über seinen Schatten springt und auf Menschen zugeht. Es wird nämlich nicht passieren, dass ein Kiwi zu dir kommt und dir seine Freundschaft anbietet, genauso wenig aber wird man zurückgewiesen werden. Mit Freunden war die Schule viel leichter zum Alltag. Da die Schule, für deutsche Verhältnisse, eher spät anfängt (8:50), ging sie dementsprechend auch Nachmittags etwas länger. Danach war meist noch Training oder Spiele (uns Austauschschülern wurde geraten Sport und/oder Musik zu machen, da man dort am leichtesten Kontakte knüpft) oder Orchester, Big- Band, Chor oder Band Probe. Wenn keine Termine waren, sind wir meistens in die Stadt gegangen. Abends zwischen fünf und sieben, abhängig von der Jahreszeit, gab es dann „Tea“, die  warme Mahlzeit des Tages. Die ganze Familie kam und hat zusammen gegessen. Da meine Familie sehr gläubig war, fand nach jedem Essen eine 10 bis 15 minütige „Bibelstunde“ statt, an denen sie uns aber freigestellt hatte teilzunehmen (ebenso wie den Kirchenbesuch). Abends haben wir meist zusammen Fern gesehen, manchmal etwas gebacken oder zusammen gespielt. Nur sehr selten wurde der Abend für Hausaufgaben oder Ähnliches gebraucht. Einerseits weil es in Neuseeland generell sehr wenig davon gibt, andererseits, weil meistens von Austauschschüler keine erwartet werden.

Am Wochenende wurde ausgeschlafen und mit Freunden getroffen. Meist spontan, da alle Verabredungen meist nur 2 Stunden vorher über Facebook  oder SMS entstehen. In Neuseeland gibt es so viele günstige Handyverträge, dass man „texten“ als Hobby bezeichnen kann. Pflichten im Haushalt hatten meine Gastgeschwister und ich nicht viele, dennoch hat sich meine Gastmutter immer gefreut, wenn wir ihr geholfen haben und auch das Verhältnis zur eher zickigen (einheimischen) Gastschwester hat sich dadurch verbessert.

Wenn ich jetzt sagen müsste was mir an Neuseeland am besten gefällt, kann ich das nur schwer kurz fassen. Beeindruckt war ich von der wunderschönen und abwechslungsreichen Landschaft. Ich war einfach fasziniert von den verschiedenen Landschaftsarten, die einfach grenzenlos ineinander übergehen, sowie von der weitgehend unberührten Natur an sich. Da die Neuseeländer auch selbst sehr stolz sind auf ihre Insel(n) bietet sowohl die Schule Extra-Trips für Internationals an, sowie viele selbstständige Organisationen Touren über die Nord- und Südinsel speziell für (Austausch)Schüler anbieten. Mit der Gastfamilie besichtigt man meist auch mehrere Sehenswürdigkeiten vor Ort. Ebenfalls beeindruckt war ich von der Einstellung der Menschen dort. Alle sind viel aufgeschlossener, unvoreingenommener und hilfsbereiter als ich es aus Deutschland gewöhnt war. Dazu kommt, dass alle Menschen wirklich stolz auf ihr Land und ihre Kultur sind und das auch zeigen. So ist Maori, die Sprache der neuseeländischen Ureinwohner, als Amtssprache anerkannt und wird in den meisten Schulen unterrichtet. Es gibt viele Aktionen zur Umwelt und Kulturpflege, die wirklich von Herzen kommen und keiner Promotion-Aktion dienen. In meinen Augen ist das Land und seine Einwohner einfach ehrlich. Vielleicht ein bisschen „zurück“ (was auch der geographischen Lage geschuldet sein mag) aber definitiv immer ehrlich und direkt, und dennoch sozial und fair..

Kurz vor Ende des dritten Terms war das Otago Music Festival. Alle High Schools aus dem Bezirk Otago trafen sich in der „Landeshauptstadt“ Dunedin und musizierten zusammen. Da ich angegeben hatte, dass ich Querflöte spielte wurde ich an der High School in Orchester „gesteckt“ und bekam kostenlosen Unterricht während der Schulzeit. Das Orchester traf sich zweimal in der Woche und übte. Es wäre übertrieben zu sagen, dass wir besonders gut waren, aber alle hatten ihren Spaß. Am Tag des Musikfestivals trafen wir uns schon morgens alle in der Town Hall. Viele Schüler in den unterschiedlichsten Uniformen waren da und bis Mittag wurden es immer mehr. Ein riesiges Orchester entstand, bestehend aus kleinen High-School Orchestern. Auf eine Weise gehörten wir alle zusammen, aber waren dennoch alle von einander unterschieden, da jeder die Uniform seiner Schule trug. Einerseits war dies für mich musikalisch ein Erlebnis, da ich noch nie (und wahrscheinlich auch nie wieder) in einem so großen Orchester mitgespielt habe, andererseits aber auch sozial. Es war wunderbar zu erleben, wie schnell man neue Freundschaften, einfach nur auf Basis der Musik schließen konnte. Man kam mit seinem Nachbarn ins Gespräch, der 60 km entfernt auf einer anderen High School ist und war nach wenigen Minuten schon vertraut. Auf der anderen Seite aber war es schön die Dazugehörigkeit verteilt über das Orchester zu zeigen.

Inzwischen hatte auch ich mich an die Uniform, die nun wirklich allen Trends der letzten 50 Jahren widersprach, gewöhnt und fand es eigentlich sogar schön, dass es Pflicht war sie zum Konzert zu tragen. Bewegend fand ich den Moment, als die ganze Town Hall dann die Nationalhymne auf Maori und Englisch gesungen beziehungsweise begleitet hat. In solchen Momenten ist mir dann bewusst geworden, dass ich in Neuseeland war. Natürlich gab es auch noch andere Momente wo mir das bewusst geworden ist. Beim Mud-Trip durch den Regenwald auf den Catlins, beim Segeln durch den wunderschönen Milford Sound, beim Kajaken durch den Abel Tasman National Park, beim  Fallschirmspringen in Taupo, oder aber auch bei alltäglichen Dingen wie der ersten Aufführung von meiner Drama-group, dem einzigen Sieg unseres unbeschreiblich schlechten Volleyballteams oder dem Schreiben der NCEA-Exams zum Beispiel. Dann wird einem bewusst, dass man am schönsten Ende der Welt ist, 22.000 km entfernt von Zuhause, Freunden und Familie, aber man weiß: es ist jeden Zentimeter wert! Ich wünsche allen, die diesen Artikel lesen und selbst noch das große Abenteuer vor sich haben eine wundervolle und unvergessliche Zeit „da unten“ und hoffe, dass ich Euch hiermit wie auch immer helfen oder ein wenig Angst nehmen konnte. In diesem Sinne: ka kite anoo und ora haere.