Leonie in Mission

Großfamilien und große Naturspektakel

Am 23. August war es endlich soweit! Mein großer Tag, auf den ich Monate, nein, zwei Jahre hingefiebert hatte, war endlich gekommen. Es war der Tag, an dem mein Abenteuer Auslandsjahr beginnen sollte. „Auslandsjahr? Du glaubst wirklich du hältst es ein ganzes Jahr in einem fremden Land aus?! Ohne deine Familie und deine Freunde?“ So etwas habe ich oft zu hören bekommen, aber mein Entschluss stand fest: Ich wollte den Schritt wagen und mein elftes Schuljahr in Kanada verbringen, genauer gesagt an Kanadas Westküste in der Kleinstadt „Mission“. Nach einem wunderbaren Abschieds-Grill-Fest mit meinen Freunden und einem tränenreichen Abschied am Hamburger Flughafen, zu dem ganz überraschend noch mal meine engsten Freunde auftauchten (sie hatten mir zuvor gesagt sie könnten es aus schulischen Gründen leider nicht schaffen, „haha“), ging meine Reise zuerst in den Osten Kanadas, nach Toronto.

Auf dem Zwischenstopp in Frankfurt traf ich weitere Austauschschüler von „into“, sowie unsere Reiseleiter für die Orientierungswoche. Meine Traurigkeit über den Abschied verflog regelrecht je mehr das Flugzeug sich Toronto näherte und wich einer freudigen und nervösen Aufregung. Der Flug dauerte ca. sieben Stunden und in Ontario angekommen waren alle sehr geschafft, aber Zeit für eine Verschnaufpause gab es nicht, denn nachdem wir unsere Koffer im Hostel (welches direkt im Stadtzentrum lag) verstaut hatten, ging es gleich weiter mit einem kleinen Rundgang durch die Stadt. Die Zeitverschiebung von sechs Stunden steckte uns allen sehr in den Knochen, dennoch waren wir alle fasziniert von der Schönheit der großen Metropole am Ontario See. Die nächsten vier Tage waren mit einem straffen Programm gefüllt: Wir machten eine Stadtrundfahrt mit einem offenen Bus, eine Bootsfahrt auf dem Ontario See, gingen Shoppen im Eaton Centre (wo gleich die amerikanischen Läden Hollister, American Eagle, F21 und Aeropostal gestürmt wurden) und auch der kanadischen Coffeeshopkette „Tim Hortons“ wurde zwischendurch immer gerne einen Besuch abgestattet! Das absolute Highlight der Orientierungswoche war für mich unser Ausflug zu den Niagarafällen in einem für Amerika typischen gelben Schulbus. Dort angekommen hielten wir uns erst mal oberhalb der Fälle auf, da wo es ununterbrochen regnet. Dann gingen wir runter auf die „Maid of the Mist“ - die berühmte Fähre, die jeden Tag Massen von Touristen ganz nahe an den Fällen entlang transportiert. Gegen die Gischt waren wir dieses Mal zum Glück durch Regencapes geschützt. Am Freitag hieß es dann Abschied nehmen von der Stadt und von neugewonnen Freunden, aber nicht ohne sich vorher das Versprechen abzunehmen, in Kontakt zu bleiben und sich auf jeden Fall auf dem „into-Returnee-Treffen“ wiederzusehen.

Für mich und vier weitere Austauschschüler ging die Reise weiter nach Vancouver. Der Flug dauerte gute 5 Stunden und - kaum an die Zeitverschiebung in Toronto gewöhnt - kamen an der Westküste Kanadas noch mal 3 Stunden mehr hinzu. Am Flughafen holte uns unser „Area-Agent“ ab. Auf der Fahrt nach Mission konnte ich kaum meine Augen offen halten, doch kurz bevor wir das Haus meiner Gastfamilie erreichten, änderte sich das schlagartig und ich wurde unglaublich aufgeregt! Zu meiner Gastfamilie hatte ich zwar schon einige Monate im Voraus Kontakt gehabt über E-Mails und Telefon, doch sie live vor einem zu sehen war dann was ganz anderes. Im Fenster hingen Willkommens-Plakate und sobald wir auf die Einfahrt fuhren, kamen alle raus gestürmt um mich und Mario (ein Gastschüler, der über das Wochenende in meiner Gastfamilie bleiben sollte) zu begrüßen. Alle waren sehr freundlich, besonders meine Gastmutter und meine Gastgeschwister, die zu dem Zeitpunkt noch 8 und 11 Jahre alt waren. Sie zeigten uns gleich das Haus - worauf ich am meisten gespannt war, war mein Zimmer, das sich im „Basement“ des Hauses befand, also im Keller, aber einen eigenen Eingang, sowie ein eigenes Badezimmer und eine kleine Küche enthielt – wie meine eigene kleine Wohnung. Nach einem kleinen Abend-Snack und einem groben Auspacken meiner Koffer ging ich an diesem Abend zeitig schlafen.

Ein paar Tage später hieß es wieder „Sachenpacken“, denn wir gingen campen, an einen See mit zwei befreundeten Familien, die eine mit 9, die andere mit 11 Kindern. Als ich mich für Kanada bewarb schrieb ich in meine Anmeldung, dass ich gerne in einer großen Familie leben möchte, da ich hier in Deutschland keine Geschwister habe. Die Erfahrung sollte ich nun kriegen, sagte meine Gastmutter mit einem Schmunzeln, als sie mir die Zahlen der Kinder nannte. Die Campingwoche war eine der besten Erlebnisse während meines Schüleraustauschs; der Tag begann mit Aktivitäten wie Wandern, Kanu- oder Kajakfahren, Schwimmen gehen oder Klippenspringen. Wenn das Wetter nicht mitspielte wurden stundenlang Brett- und Kartenspiele gespielt oder Disneyfilme mit einem tragbaren DVD Player geschaut. Abends wurde natürlich am See ein Feuer gemacht über dem Marshmallows geröstet wurden, die man dann, zwischen 2 Schokokeksen, als sogenannten „S'more“ verzehrte.

Dann fing die Schule an. Schon in Deutschland hatte ich eine Übersicht über meine Fächerauswahl bekommen und für mich stand fest, dass ich zwar wichtige Fächer, wie Englisch, Mathe und Biologie auf jeden Fall belegen müsste, ich aber auch Fächer, wie Fotografie, Theater und Kochen ausprobieren wollte - Fächer, die ich auf meinem Stundenplan in Deutschland nie finden würde. Zum Glück klappte alles mit meiner Fächerwahl. Meine Schule war im Vergleich zu meiner deutschen Schule recht klein, 700 Schüler, was das Ganze ein bisschen familiärer und übersichtlicher machte. Außer mir waren noch ca. 17 weitere Austauschschüler aus Deutschland, Ungarn, Japan und Korea auf der Schule. In der ersten Zeit war ich viel mit anderen Deutschen zusammen, aber nachdem die meisten nach Weihnachten nach Hause fuhren, wurden die Leute offener gegenüber uns Übrigen und ich verbrachte meine Zeit fast nur noch mit Kanadiern. Wir gingen viel ins Kino, Sushi essen oder zu Tim Hortons; kochten zusammen, verabredeten uns zu „Movienights“, fuhren viel nach Vancouver mit dem „Westcoast-Express“ und als das Wetter im Mai besser wurde trafen wir uns, um ein Feuer am Strand des Fraser Rivers zu machen.

Ein paar Wochen nach meiner Ankunft bekam meine Gastfamilie weiteren Zuwachs: Ein 9 Jahre altes Mädchen aus Korea namens Jimi, die voraussichtlich ein halbes Jahr bei uns verbringen sollte. Bei ihrer Ankunft konnte sie kaum ein Wort Englisch oder vielleicht war sie auch einfach nur schüchtern, jedenfalls lernte sie innerhalb kürzester Zeit sehr gut Englisch und für mich war es sehr interessant neben der kanadischen Kultur auch noch etwas über die koreanische Kultur zu erfahren, die sich noch viel mehr von der durch europäische Einflüsse geprägten kanadischen Kultur abhebt. Jimi entschied sich nach einem halben Jahr noch ein weiteres halbes Jahr zu bleiben und sogar ab dem Frühjahr bei einer anderen Familie noch ein weiteres Jahr in Kanada zu bleiben. Meiner Meinung nach eine sehr mutige Angelegenheit mit 10 Jahren. Meine Gastfamilie sind schon alte Hasen, was die Aufnahme von Austauschschülern betrifft und es macht ihnen großen Spaß, immer wieder neue Bekanntschaften aus anderen Ländern zu machen und neuen Input zu bekommen. Auch würde sich das „Beispielhafte Austauschschüler Benehmen“ ihrer Meinung nach gut auf ihre eigenen Kinder auswirken. Ein weiteres Highlight war Weihnachten, was wir ganz typisch mit der ganzen Familie und einem riesigen Plastik-Weihnachtsbaum, gefüllten Strümpfen und konstant bis obenhin gefüllten Bäuchen gefeiert haben. Eine weitere Besonderheit war, dass eine andere Austauschschülerin, die wie ich aus Hamburg kam, Weihnachten in meiner Familie verbracht hat, da sie sich kurzfristig entschieden hatte ihre Gastfamilie zu wechseln und so schnell keine neue über die Festtage gefunden werden konnte. Also hatten wir „Full House“ über die Winterferien und alle zusammen sehr viel Spaß!

Zum Beginn des zweiten Schulhalbjahres gab es direkt wieder Highlights. Zunächst wurde mein Stundenplan zu 4 entspannten Blöcken – Theater, Kochen, Fotografie und Englisch – umgewandelt. Auch wurden wir mit der Abendveranstaltung „Winterformal“, zu der alle zu einem schicken Essen in der Schulkantine und darauf folgendem Tanz erschienen, auf den Abschlussball „Prom“ am Ende des Schuljahres eingestimmt, zu dem wir Austauschschüler natürlich auch eingeladen waren. Beide Veranstaltungen waren der Hammer, so etwas würde es an meiner Schule in Deutschland nie geben. Der „Prom“ fand in einem sehr eleganten Golfclub statt, mit hohen Decken von denen große Kronleuchter hingen und von der großen Terrasse hatte man einen wunderschönen Blick über die Anlage. Nach dem Dinner wurde getanzt und dann ging es wieder zurück zur Schule, wo wir alle froh waren, aus unseren engen, langen Kleidern und hohen Schuhen in bequeme Jeans und T-Shirt zu schlüpfen. Die Schule war nach dem Motto „Disney Safari“ geschmückt worden, es gab Snacks und Smoothies sowie viele Attraktionen, wie exotische Tiere mit denen wir Fotos machen konnten, eine Hüpfburgen Landschaft in der großen Turnhalle und jede Menge mehr. Bis 3 Uhr morgens waren wir also alle gut beschäftigt, bis zum Höhepunkt des Abends – dem Hypnotiseur, der uns eine atemberaubende Show präsentierte. Es war einfach unglaublich, zu sehen, wozu man Leute bringen kann, wenn sie unter Hypnose stehen. Nach der Show war um 5 Uhr morgens schon wieder alles vorbei.

Bevor es wieder zurück nach Deutschland gehen sollte, wurde das Wetter immer sommerlicher und meine Gastfamilie entschied sich mir eine andere Seite von British Columbia zu zeigen, und zwar die Wüstenregion im Bereich um den Okanagansee. Also ging es mit Freunden meiner Gasteltern und einer Freundin von mir für ein Wochenende nach Penticton und wir genossen das warme Wetter und die Sonne in vollen Zügen. Neben Penticton und dem besagtem Camping Urlaub war ich außerdem innerhalb meines Jahres noch Skifahren und habe zudem zweimal Vancouver Island besucht. Auch ging es einmal mit allen anderen Austauschschülern nach Victoria – eine sehr schöne und für kanadische Verhältnisse ältere Stadt, und das andere Mal ging es mit einer Gruppe von der Schule aus nach Bamfield, einem 200 Seelendorf am westlichsten Zipfel Kanadas weitab von der nächst größeren Stadt. Dort besuchten wir die dort ansässige Meeresbiologie Station, wo wir viel gesehen und gelernt haben. Ich glaube das Bamfield mit das Schönste war, was ich während meines Aufenthalts zu Gesicht bekommen habe - die Natur war wie aus dem Bilderbuch, einfach genau so, wie ich mir Kanada immer vorgestellt habe.

Am 1. Juli hieß es dann „Good bye, Canada“, aber nicht ohne noch das typische „See you“ dahinterzusetzen, denn ich möchte so bald wie möglich wieder in meine neue zweite Heimat Kanada zurückkommen und all die liebgewonnen Menschen und Orte wiedersehen! Und ich kann nur jedem empfehlen, der den Wunsch und die Möglichkeit hat ein Jahr im Ausland zu verbringen, sich zu trauen und den Schritt zu wagen – es lohnt sich!